Oliver Dunskus, geboren 1962 in Paris und aufgewachsen in Frankreich, England, Deutschland (Frankfurt, Hamburg, München, Düsseldorf) und Japan.
Neben seiner Leidenschaft für Shikoku und den Pilgerweg, hat er eine Passion für Jazz. Oliver spielt Jazzgitarre und hat eine Biografie über den Jazz-Gitarristen Wes Montgomery publiziert.
2018 ist sein erstes Buch zum Shikoku-Pilgerweg erschienen.
Er lebt heute in der Nähe von Düsseldorf.
Wie bist du zum Pilgern auf Shikoku gekommen?
Zum Pilgern kam ich über meinen Vater, der in seinem Ruhestand häufig in Spanien pilgerte. Irgendwann begleitete ich ihn – das erste Mal auf der Ruta de la Plata 2011, dann auf dem Camino Levante 2013 und schließlich auf dem Camino Mozárabe 2013. Er (Japankenner) erzählte mir vom Shikoku Pilgerweg, den er nie betreten hatte.
Zum ersten Mal kam ich 2015 nach Shikoku, kehrte 2016 zurück und ging die Tempel der Provinz Tokushima.
2017 radelte ich von Kōchi über Takamatsu und schloss den Kreis bei Tempel 1 (900 km). 2019 verbrachte ich vier Wochen in Shikoku auf meiner zweiten Runde.
2020 besuchte ich erneut die Tempel der Provinz Kagawa, und im Februar/März 2023 bin ich zum sechsten Mal dort.
Aus welcher Motivation heraus ist dein Pilgerführer entstanden?
Die erste Ausgabe meines Reiseführers für Shikoku-Pilger ist 2018 erschienen.
Meine Motivation war eine Mischung aus meiner Begeisterung für das Thema und dem Mangel an gescheiter Literatur.
Auf Deutsch gab es nichts, allenfalls den einen oder anderen Erfahrungsbericht, der aber den Weg nicht beschreibt. Nicht detailliert und vollständig beschreibt.
Die ersten beiden Reisen von den insgesamt fünf habe ich ohne den Route Guide gemacht (Anmerkung: gemeint ist der “Shikoku Japan 88 Route Guide” von Naoyuki Matsushita). Ich wusste, dass es den gibt, aber ich wusste nicht, wo ich den kaufen kann.
An Kartenmaterial hatte ich damals eine Karte aus dem Fremdenverkehrsbüro in Kōchi über den Shikoku Pilgerweg. Als große Landkarte zum Falten. Die es heute nicht mehr als Papierversion gibt. Drei davon habe ich mir mitgenommen.
Als Navigation habe ich diese Karte, zusammen mit Google Maps benutzt und bin einige Tempel in der Nähe der vier großen Städte abgelaufen.
Das war 2015, auf meiner ersten Pilgerreise. Damals hatte ich in 10 Tagen etwa 20 Tempel besucht. Das hat mich angefixt. Und natürlich wollte ich danach alle 88 Tempel sehen.
Ich habe nicht viele Hobbys, aber alle betreibe ich lange und in großer Tiefe. Dazu gehören die Musik, und seit der ersten Pilgerreise auch Shikoku, sowie die spanischen Jakobswege. Je mehr ich über ein Thema weiß, desto mehr Spaß habe ich daran.
Irgendwann habe ich alles gelesen, was in an Literatur über Shikoku bekommen konnte. Bücher; Prospekte, die ich in Shikoku eingesammelt habe. Inzwischen gibt es ein Riesen-Archiv bei mir.
Ich dachte, es gibt doch noch viel mehr zu sagen über die Tempel Shikokus, die oft sehr kurz abgehandelt wurden. Auch in den Tempel-eigenen Präsentationen im Internet. Auf Englisch sind das meist nur wenige Sätze.
Letztlich habe ich die Puzzlestücke, die ich gesammelt habe, sortiert und die 88 Tempel und die Wege dazwischen in ein Buch gepackt.
Viele Abende habe ich damit verbracht, den Pilgerweg mit Google Maps und Google Street View auch nochmal virtuell abzulaufen. Dort habe ich nachgeschaut, um einige Details richtig zu beschreiben, die ich vergessen hatte.
Die Arbeit an der ersten Ausgabe hat ungefähr ein halbes Jahr gedauert. In diesen Monaten habe ich viele Abende und Wochenenden mit Recherchieren und Schreiben verbracht. Und oft mit Spaß in die Nacht hinein gearbeitet.
Um was geht es in deinem Buch und was ist neu in der Ausgabe 2023?
In meinem Buch beschreibe ich das Pilgern und den Pilgerweg.
Will den Leuten Mut machen, es zu versuchen. Ich denke, auch wenn man kein Japanisch kann ist es leichter, als man glaubt. Ich habe mir gesagt: wenn es so ein Buch gibt, trauen sich die Menschen, sich auf den Weg zu machen.
Und Shikoku hat es verdient, dass die Leute das versuchen.
In zweiter Linie habe ich das Buch auch für mich geschrieben, um das alles nochmals richtig zu studieren.
In der Ausgabe 2023 habe ich meine Erfahrungen von zwei weiteren Reisen nach Shikoku eingebaut. Da habe ich mich noch ein bisschen mehr auf die Nebentempel (Bekkaku) und die inneren Heiligtümer (Okunoin) fokussiert.
Für die 2023-er Ausgabe habe ich einige Pläne der Tempelgelände angefertigt. Bei meinen ersten Reisen hat mich selbst immer ein wenig gestört in einem der alten, schönen Tempelgelände zu sein und nicht zu wissen, was es mit den ganzen Gebäuden auf sich hat. Und niemand erklärt es einem. Tempel 75, Zentsuji, liegt auf einem riesigen Areal mit 30 oder 40 Gebäuden. Deshalb habe ich diese Pläne gemacht und ins Buch genommen, gerade für die größeren Tempel. Und ich habe einige historische Anekdoten ergänzt und vervollständigt.
Ich arbeite an weiteren Plänen. In die nächste Ausgabe kommt z. B. ein Plan vom Kap Muroto, wo es über 1-2 km eine Fülle von Sehenswürdigkeiten gibt.
In dieser Ausgabe sind noch mehr praktische Tipps drin. Auf welcher Etappe sollten sich die Pilger einen Vorrat mitnehmen, wenn es unterwegs nichts zu essen gibt?
Blick ins Buch
Welche weiteren Bücher über den Shikoku-Pilgerweg empfiehlst du?
Es gibt viele autobiografische Erlebnisberichte von Menschen, die den Pilgerweg gegangen sind. Vier dieser Reisebeschreibungen möchte ich empfehlen:
- “Meine Suche nach dem Nichts: Wie ich tausend Kilometer auf dem japanischen Jakobsweg lief und was ich dabei fand” von Lena Schnabl (in deutscher Sprache). Lena hat, mit viel Humor, ihren persönlichen Weg beschrieben, mit allen Höhen und Tiefen, und sie schreibt gut.
- “Fremdes Japan: Wie ich versuchte, 88 Tempel zu erobern, und mich dabei in Japan verlor” von Thomas Bauer (in deutscher Sprache). Obwohl Thomas das erste Mal in Japan war, ist das Buch hervorragend recherchiert und beschreibt den Pilgerweg aus verschiedenen Perspektiven – historisch, soziologisch, praktisch.
- “The Cicada’s Summer Song” von Lu Barnham (in englischer Sprache). Ebenfalls wunderbar, sehr herzlich geschrieben.
- “Fighting Monks and Burning Mountains: Misadventures on a Buddhist Pilgrimage” von Paul Barach (in englischer Sprache). Paul ist ein amerikanischer Komiker, der den Weg auf seine eigene Weise gegangen ist und beschreibt. Ziemlich naiv und unvorbereitet, und seine verschiedenen Bauchlandungen beschreibt er sehr detailliert, bei der Lektüre habe ich viel gelacht, ich las das Buch, während ich analog zu seinen Erzählungen dieselben Orte ablief und begann dann irgendwann, dabei auch noch täglich mit ihm zu chatten.
Von den historischen Büchern lohnt es sich zu lesen:
- “Wallfahrt zu Zweien: Die 88 Heiligen Stätten von Shikoku” (in deutscher Sprache); “Two on a Pilgrimage: The 88 Holy Places of Shikoku” (in englischer Sprache). Von Alfred Bohner, neu herausgegeben von David C. Moreton. Alfred Bohner ist den Pilgerweg im Sommer 1927 gewandert und berichtet in dem Buch über die Tempel und über seine Reiseerfahrungen.
- Visiting the Sacred Sites of Kukai: A Guidebook to the Shikoku Pilgrimage” von Tateki Miyazaki, herausgegeben von David C. Moreton. David ist ein echter Kenner der Pilgergeschichte. Er lebt schon lange in Shikoku und kann sehr gut Japanisch lesen. Er hat auch ein sehr großes Archiv.
- “Japanese Pilgrimage” von Oliver Statler (in englischer Sprache; leider nur noch im Antiquariat erhältlich).
Empfehlen möchte ich auch zwei wissenschaftliche Bücher:
- “Making Pilgrimages: Meaning and Practice in Shikoku” von Ian Reader (in englischer Sprache)
- “Pilgrims Until We Die: Unending Pilgrimage in Shikoku” von Ian Reader (in englischer Sprache)
Wird es ein neues Buch von dir geben?
Gerade bin ich in einer Schreibpause, seit einigen Monaten. Es tut mir gut, keinen Schreibdruck zu haben.
Ein großes Buchprojekt habe ich seit einiger Zeit im Kopf: Es geht um einen religionsvergleichenden Blick auf Shikoku. Mich interessiert besonders die Verbindung zwischen Shinto und den buddhistischen Tempeln. Wie viel Shintoismus steckt in dem buddhistischen Pilgerweg? Was ist mit den Shinto-Schreinen da unterwegs? Darüber wird so gut wie nicht publiziert.
An diesem Steckenpferd arbeite ich schon länger. Es ist eine große Baustelle, an der ich immer wieder mal arbeite. Ich weiß nicht, ob ich damit jemals fertig werde. Aber jetzt gönne ich mir eine kreative Pause.
Vorstellen kann ich mir auch, über die 88 Tempel von Shōdoshima zu schreiben. Oder eine Biografie über das abenteuerliche Leben von John Manjiro.
Am konkretesten aber ist ein Buchprojekt für Pilger, die das nicht zu Fuß machen: Eine Version von “88 Temples in 55 Days” für Menschen, die beim Pilgern die öffentlichen Verkehrsmittel auf Shikoku nutzen möchten, wogegen ja nichts einzuwenden ist.
Jeder pilgert auf seine Weise.
Was planst du für deine nächste Shikoku-Reise?
Im Februar/März 2023 reise ich zusammen mit zwei Freunden.
Die Planung steht bereits vollständig. Es wird ein “Best of Shikoku”. Meine Freunde sollen viel von Shikoku sehen.
Und für meine eigenen Interessen ist auch einiges geplant.
Das wird meine sechste Shikoku-Reise.
Und die siebte wird dann endlich wieder an die Westküste Shikokus gehen, unter anderem zum Geburtshaus meines Lieblingshelden John Manjiro.
“Die 88 Tempel von Shikoku: Ein Reiseführer für Pilger” ist auf Deutsch, Englisch und Französisch erschienen.
Ganz herzlichen Dank an dich, Oliver, dass du dir viel Zeit für unser Gespräch genommen hast.
Die Fragen an Oliver stellte Kuri.